ARTE 7
8. November 2011 ab 20.15 Uhr
„In den Fängen der Pharmalobby“ beleuchtet den Arzneimittelskandal um die tödliche Schlankmacherpille Mediator und schaut hinter die Kulissen der Pharmaindustrie, die immer neue Medikamente für immer neue Krankheitsbilder auf den Markt bringt.
Dem von Annie-Claude Elkaim moderierten Studiogespräch folgt ein Video-Livechat. Die Gäste werden noch bekanntgegeben.
ARTE zeigt diesen Themenabend im Rahmen des Programmschwerpunkts „Hauptsache gesund!“.
Annie-Claude Elkaim
zoom
© Eric Garault
Annie-Claude Elkaim
Der Medikamentenskandal in Frankreich um die tödliche Schlankmacherpille Mediator hat 2011 eine europaweite Debatte ausgelöst. Die Arznei steht für eine Pharmaindustrie, die sich keine Sorgen um das Wohlbefinden ihrer Patienten macht und auch vor deren bewusster Irreführung nicht zurückschreckt. Wie konnte in einem europäischen Land ein Medikament, das mit 500 bis 2.000 potenziellen Todesopfern in Verbindung gebracht wurde, solange auf dem Markt bleiben?
Chronisches Erschöpfungssyndrom, Reizdarmsyndrom, ADHS, Fibromyalgie, PMS, Erektionsstörungen, weibliche sexuelle Dysfunktion, saisonal-affektive Störungen, Sozialphobien, bipolare Störungen und Panikattacken – die Liste von denjenigen Krankheiten, die zunehmend öffentliche Beachtung finden, ist lang. In Wirklichkeit ereilen diese Syndrome aber nur eine kleine Zahl von Patienten. Doch das Marketing der Pharmaindustrie verwendet sein ganzes Verkaufsgeschick darauf, sie als so unspezifisch darzustellen, dass sie Tausende von Menschen betreffen könnten, und empfiehlt ihnen sogleich bestimmte Medikamente zur Behandlung.
Produziert die Pharmaindustrie weltweit maßgeschneiderte Krankheiten für Gesunde beziehungsweise Kranke, die nur noch nichts von ihrer Krankheit wissen? Durch die neu definierten und erweiterten Krankheitsbilder eröffnet sich ein neuartiger Markt. Mit der Schaffung neuer medizinischer Bedürfnisse können Arzneimittel verkauft werden, deren Indikationen begrenzt sind oder deren Patentschutz abläuft. Da kostspielige und langjährige Investitionen in Forschung und Entwicklung so umgangen werden können, hat dies eine größere Gewinnspanne zur Folge.
Basieren die Marketingstrategien der Pharmaindustrie auf reiner Gier nach Profit? Soll die „Psycho-Pathologisierung“ des Alltags den Medikamentenkonsum in die Höhe treiben? Entsprechen die neuen Krankheitsbilder tatsächlich neuen Pathologien? Diese Fragen ergründet der Themenabend und lässt dazu Ärzte und betroffene Patienten zu Wort kommen.
20.15 – Tödliche Pillen: Mediator-Skandal
Der Skandal um das Medikament „Mediator“ wirft die Frage auf, warum ein so überflüssiges und potenziell gefährliches Präparat in Frankreich über 30 Jahre lang auf dem Markt bleiben konnte. Die Dokumentation erzählt dabei auch die Geschichte der Pneumologin Irène Frachon, der es durch Beharrlichkeit gelang, die zuständigen Behörden zum Handeln zu bewegen.
Das in Frankreich umstrittene Diabetesmedikament „Mediator“ hätte 1976 überhaupt nicht für den Verkauf freigegeben werden dürfen, so die Dokumentation. Seit den 90er Jahren gab es Hinweise auf die Gefährlichkeit von „Mediator“ insbesondere in Bezug auf Herz und Lunge. Und bereits 1997 wurde auf seine Wirkungslosigkeit bei der Diabetes-Behandlung hingewiesen. Doch entgegen jeder Logik blieb das Prestigeprodukt des französischen Pharmaunternehmens Servier bis November 2009 auf dem Markt. Und die Kosten wurden bis zum Schluss von der Krankenkasse erstattet.
Die Wende im Umgang mit „Mediator“ bewirkte Irène Frachon, Pneumologin am Universitätskrankenhaus Brest. Nachdem sie über Jahre eine beunruhigend hohe Anzahl von „Mediator“-Opfern festgestellt hatte, gelang es ihr, die französische Kontrollbehörde für Gesundheitsprodukte Afssaps („Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé“) auf dieses Medikament mit vermutlich tödlichen Nebenwirkungen aufmerksam zu machen. Drei Jahre kämpfte Frachon hartnäckig gegen die hundertprozentig von der Pharmaindustrie finanzierte Afssaps, damit diese sich für ein Verbot von „Mediator“ einsetzt. Doch das war nicht leicht, denn einige der für die Medikamentenüberwachung zuständigen Fachleute der Behörde wurden sogar von der Firma Servier bezahlt.
Die Dokumentation beleuchtet das weit verzweigte Netz an Kontakten zu Medizin, Forschung und Politik, das der Unternehmensgründer Jacques Servier im Laufe der Zeit aufgebaut hatte und das ihn und sein Labor 32 Jahre lang vor Angriffen schützte.
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Dokumentation, Frankreich 2011, Erstausstrahlung
Regie: Bernard Nicolas
>> Dieses Programm steht Ihnen nach seiner Ausstrahlung auf ARTE+7 zur Verfügung.
21.05 – Fernsehdebatte und Video-Live-Chat
21.20 – Krankheiten nach Maß
Medikamente dienen der Heilung von Krankheiten, zumindest ist das die Annahme von Patienten, die Arzneimittel einnehmen. Doch gibt es den Verdacht, dass es auch Erzeugnisse der pharmazeutischen Industrie gibt, die Krankheiten fördern, und zwar nicht als bloße Nebenwirkung. Die Dokumentation versucht „Condition Branding“, der bewussten Förderung von Krankheiten, auf die Spur zu kommen.
Bis in die 70er Jahre stellte die Pharmaindustrie Medikamente her, um Krankheiten zu heilen. Seitdem steht sie – zumindest teilweise – im Verdacht, dass sie auch Krankheiten schafft, um Medikamente zu verkaufen. Die in Forschung und Entwicklung getätigten Investitionen müssen sich nicht erst nach langer Zeit, sondern möglichst schnell rentieren – so fordert es eine kapitalistische Logik. Ob es sich um überhöhte Cholesterinwerte, Depressionen, bipolare Störungen oder Impotenz handelt – die Dokumentation versucht herauszubekommen, inwieweit Pharmabetriebe Strategien verfolgen, die Menschen in Kranke – das heißt in Medikamentenverbraucher – verwandeln. Dabei werden Mediziner und Gesundheitsbehörden zu mehr oder weniger passiven Komplizen dieser Methoden.
Schenkt man den Aussagen des Films Glauben, scheint die bewusste Förderung von Krankheiten, im Fachjargon auch „Condition Branding“ genannt, im Begriff zu sein, die moderne Medizin in ein riesiges Marketingunternehmen zu verwandeln, in dem die Wissenschaft in den Dienst der Industrie und nicht mehr in den der Patienten gestellt wird.
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Dokumentation, Frankreich 2010, Erstausstrahlung
Regie: Anne Georget